Deutschlands Bevölkerung wird immer älter. Nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes wird der Anteil der über 65-Jährigen bis zum Jahr 2060 bereits auf etwa 32 % ansteigen. Die höhere Lebenserwartung fordert allerdings auch ihren Tribut, denn nicht nur die Organe altern, auch das Immunsystem lässt in seiner Leistungsfähigkeit nach. Die Folge ist eine reduzierte Immunantwort auf Impfungen – ein Problem, das etwa bei der Influenza zu schweren, teils lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann.
Das Paradox des Impfens im Alter liegt darin, dass die wirksame Bekämpfung von Infekten eine intakte Immunantwort voraussetzt, deren altersbedingtes Nachlassen (Immunseneszenz) der eigentliche Konflikt ist. Die Influenza ist zum einen bei älteren Menschen mit einer hohen Sterblichkeit assoziiert, zum anderen kann sie bei überstandener Infektion anhaltende Einschränkungen nach sich ziehen. Bei Pflegeheimbewohnern beispielsweise führt eine überstandene Grippe gehäuft zu Gewichtsverlust, Zunahme von Dekubitalulzera und Verlust an Selbsthilfefähigkeit [1]. Zudem beeinflussen ein eingeschränkter funktioneller Status, Multimorbidität und Mangelernährung [2] sowie Frailty [3] eine adäquate Immunantwort negativ. Bei der Immunseneszenz kommt es zu qualitativen und quantitativen Veränderungen im angeborenen und erworbenen Immunsystem. Ein Beispiel ist die geringere Affinität der gebildeten Antikörper zu Antigenen mit daraus resultierender Verminderung der Impfeffektivität, die sich wiederum in einer erhöhten Infektanfälligkeit ausdrückt. Die schwächer werdende Immunantwort kann aber auch zu einer Zunahme von inflammatorischen Prozessen (z. B. Atherosklerose) sowie Autoimmun- und Tumorerkrankungen führen. Zudem bewirkt die Immunseneszenz einen Symptomwandel, also einen Wechsel von typischen Krankheitszeichen wie Fieber hin zu unspezifischen Symptomen wie akute Verwirrtheit oder auch funktionelle Verschlechterungen (Stürze, Inappetenz). Dadurch verzögert sich nicht selten eine adäquate Therapie.
Umso wichtiger ist die Prävention durch Impfungen. Allerdings scheinen die Influenza-Impfquoten bei den über 60-Jährigen auf einem niedrigen Niveau zu stagnieren: 2015/2016 war nach Angaben des Robert Koch-Institutes lediglich ein gutes Drittel (35,3 %) dieser Altersgruppe bundesweit geimpft [4]. Der gezielte Einsatz stärker immunogener Vakzinen für die Gruppe der älteren Menschen mit funktionellen Beeinträchtigungen und/oder Multimorbidität könnte hier Abhilfe schaffen.
Welche Viren sind gefährlich?
Die Grippe wird nicht von einem Virus verursacht, sondern es gibt verschiedene Arten, die in die Typen A, B und C unterteilt werden. Typ C spielt epidemiologisch keine Rolle. A-Subtypen werden je nach Art der Oberflächenmoleküle mit Buchstabenkombinationen wie H3N2 oder H1N1 gekennzeichnet. B-Stämme unterteilt man, abhängig vom Hämagglutinin, in zwei genetisch unterschiedliche Linien – Yamagata und Victoria. Jeder einzelne Erreger hat dabei seine eigene Epidemiologie. So tritt etwa typischerweise die Influenza-A-Welle früher in der Saison auf als die B-Welle.
Wenn auch die Epidemiologie Jahr für Jahr anders verläuft, lassen sich doch einige Charakteristika festmachen: Weltweit gehen etwa 80 % aller Influenza-Infektionen auf Viren vom Typ A zurück [5]; sie sind auch die alleinigen Auslöser von Pandemien. Im Gegensatz zu Influenza B, die jedes Jahr – absolut gesehen – zu relativ ähnlichen Erkrankungszahlen führt, schwanken die vom Virustyp A verursachten sehr deutlich [6]. Saisons mit einer starken Influenzaaktivität (wie 2016/2017) gehen demzufolge auf das Konto des Stammes A/H3N2. Derartige A-Wellen, die mit hohen Erkrankungszahlen verbunden sind, finden etwa alle zwei bis drei Jahre statt; in der Zwischenzeit gelten die Viren der B-Linie – relativ gesehen – als dominant.
90 % der Todesfälle bei Senioren
Die Erkrankungshäufigkeit unterscheidet sich in den verschiedenen Altersgruppen sehr deutlich. Bei Kleinkindern ist sie am höchsten, nimmt aber mit zunehmendem Alter immer mehr ab. Neben der reinen Infektionsrate muss allerdings der Schweregrad der Erkrankung in Betracht gezogen werden, der sich an den Influenza-assoziierten Hospitalisierungen oder – schlimmstenfalls – Todesfällen ablesen lässt. Während Klinikeinweisungen bei Kindern und älteren Menschen gleichermaßen häufig sind, finden sich etwa 90 % aller Grippe-bedingten Todesfälle in der Altersgruppe der über 65-Jährigen [7]. Ursächlich dafür sind meist Komorbiditäten. So erhöht sich das Risiko, an einer Influenza zu versterben, bei gleichzeitig bestehender Lungenerkrankung auf das 12-Fache, bei einer Herzerkrankung auf das 5-Fache und bei beiden Risikofaktoren sogar auf das 20-Fache [8]. Bei diesen Konstellationen ist also eine Grippe der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dies unterstreicht die Bedeutung der Influenza-Prophylaxe für ältere Menschen. Eine Impfung mit konventionellen Vakzinen weist allerdings eine schlechte Effektivität in dieser Altersgruppe auf, die nur etwa 50 % der Schutzwirkung im mittleren Erwachsenenalter beträgt.
Auf immunologische Besonderheiten zugeschnitten
Seit fast 40 Jahren bestehen die Grippe-
impfstoffe analog den zirkulierenden Viren aus drei Komponenten (trivalente Impfstoffe) – den zwei Subtypen des Influenza-A-Virus (H1N1 und H3N2) und einem Stamm der B-Linie. Ab 2001 beobachtet man eine gemeinsame Zirkulation von zwei unterschiedlichen Influenza-B-Stämmen, sodass die WHO ihre Empfehlungen auf eine Zusammensetzung aus vier Komponenten – zwei A-Subtypen und zwei B-Stämmen – erweiterte (tetravalente oder quadrivalente Impfstoffe).
Dem für ältere Menschen bestehenden Problem einer unzureichenden Impfeffektivität kann mit adjuvantierten Vakzinen, also mit trivalenten Impfstoffen, die zusätzlich einen Wirkverstärker (das Adjuvans) enthalten, begegnet werden. Mit ihnen lässt sich nicht nur eine bessere und länger anhaltende humorale und zelluläre Immunantwort erzielen. Sie erreichen auch eine "breitere" Wirkung gegenüber verwandten heterologen Virusstämmen (sog. Kreuzprotektion). Als weitere Option für eine breitere Wirksamkeit werden schon in näherer Zukunft adjuvantierte quadrivalente Impfstoffe zur Verfügung stehen.
In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf die "Stellungnahme der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten e.V. zu Influenza-Impfstoffen" vom September 2012 [9] sowie auf die (seit drei Jahren gleichlautenden) Empfehlungen der Sächsischen Impfkommission, Stand 1. Januar 2017 [10]: "Für jede Zielgruppe sollte der am besten geeignete Impfstoff ausgewählt werden (können)." Mit dieser Auffassung wird der unterschiedlichen Immunogenität und Effektivität zugelassener Influenza-Vakzinen in differenten Alters- bzw. Risikogruppen Rechnung getragen.

Interessenkonflikte: Forschungsunterstützung für Robert-Bosch-Stiftung, Forschungskolleg Geriatrie, Pfizer. Mitglied Advisory Board PCV-13 Adult, Pfizer. Beratertätigkeit für Seqirus. Vortragstätigkeit für Pfizer, MSD, Novartis.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (14) Seite 42-43